200 Mark, ein Duell und der Prinzensänger Sebastian Krumbiegel

Eine etwas andere Liebeserklärung I Bitte TERMINVERSCHIEBUNG auf Dienstag, den 11.6.2024 beachten


SCHLIEBEN. Den ersten 200-Mark-Schein, den ich je besessen hatte, fand ich in Schlieben nach dem Kellerstraßenfest. Lange her, irgendwann in den 1990er-Jahren. Er lag mutterseelenallein auf der Straße. Niemand da, weit und breit. Also hob ich ihn auf und wärmte ihn vorerst in meiner Hosentasche. Ich dachte nicht einen Moment daran, ihn dem Fundbüro zu übergeben. Wäre nicht gut gewesen, die Leute im Amt in Versuchung zu bringen, für 200 Mark Kaffee zu kaufen und anschließend zu trinken. Da war es sinnvoller, die Fundsumme in mich selbst zu investieren. Von einer weißen Levi‘s 501 hatte ich schon lange geträumt. Nun lag mein unerfüllter Traum einfach in der Kellerstraße von Schlieben herum. 200 Mark! Ich trug den Schein stolz und enganliegend am Körper, wie später die Jeans, in die er sich verwandeln sollte.

Eine seltene Liebe 

 

Ich denke, seit dieser Zeit nahm ich die kleine Stadt mit dem Weinberg, der Martinskirche und meiner Freundin Maria Hilbrich mittendrin in die erste Liga meines Herzens auf. In diesen Tagen lernte ich als RUNDSCHAU-Reporterin Hans-Dieter Lehmann mit dem Historiker-Kürzel HDL kennen. Uns verband eine seltene Liebe – die zur hiesigen Geschichte. Mit ihm konnte ich mich über Menschen und Ereignisse unterhalten, an die seit Hunderten von Jahren niemand mehr dachte. Zum Beispiel: das Duell des Kolochauer Rittergutsbesitzers Sommerlatt gegen den Hauptmann von Pantzschmann aus Osteroda, der den Tod dabei fand. 1684 war das. Mit Hans-Dieter Lehmann ließ sich solch ein Drama bis ins Detail erörtern. Das genoss ich. Besonders auch die Art, wie Lehmann darüber erzählte. So, als hätten ihm beide davon persönlich erzählt. So, als gäbe uns Geschichte immer den entscheidenden Kompassausschlag für die Gegenwart. Das liebte ich! Das war die ideale Basis für gemeinsame Bücher und Veranstaltungen. Jahrelang! Bis er dann selbst ein Teil Geschichte wurde. Viel zu plötzlich! Ich war sehr traurig.

Bübisches Lächeln, verschmitzter Blick - Hans-Dieter Lehmann und dessen Liebe zu Schlieben bleiben unvergessen.
Bübisches Lächeln, verschmitzter Blick - Hans-Dieter Lehmann und dessen Liebe zu Schlieben bleiben unvergessen.

Traurig zu sein, halte ich nicht lang aus. Meist nehme ich dieses Gefühl, schicke es durch die Kanalisation meiner kopfeigenen Ideenfabrik und mach irgendwas daraus. Kultur und Theater zum Beispiel. Genau deshalb strande ich weiterhin oft in Schlieben. Mit den ScHerzbergern, mit den Appetitmachern von Elbe-Elster und nun sogar mit Sebastian Krumbiegel von den Prinzen. Er ist genauso ein besonderer Mensch, wie HDL es war. Wenn er anruft, ist es, als spräche da ein wirklich guter Freund. Mit tiefer, beruhigender Stimme. In der Tonart eines Menschen, der sich nicht verbiegen lässt. Inhaltlich immer konkret, klar und frei heraus.

 

Sich rauszuhalten ist falsch 

 

„Ich freue mich wirklich und ganz bewusst auf Auftritte vor kleinem Publikum, im persönlichen Rahmen“, sagt Sebastian Krumbiegel, während er telefonierend in Richtung Düsseldorf unterwegs ist. „Denn ich tausche mich einfach gern mit Leuten aus, die eben nicht zu meiner Bubble gehören. Es ist schön, freundlich aufeinander einzugehen und sich mit anderen Standpunkten und Erfahrungen zu beschäftigen. Nur so kommt man raus, redet und begreift, was andere anders sehen“, fügt der Leipziger Künstler hinzu. 

Ich frage ihn, ob er verstehen kann, dass viele Menschen von echten Sorgen geplagt werden. „Klar verstehe ich die Leute, wenn sie nicht zufrieden sind mit der Politik und wie sie so läuft. Der Krieg, der Kurs der SPD, die Migration – alles schwierig und sehr komplex. Doch egal, wer hier entscheiden würde, eine flächendeckende, komplette Zustimmung ist bei dieser Problemlast unmöglich“, stellt der Prinzensänger klar und ergänzt mit deutlichen Worten: „Ich verstehe allerding nicht, wenn jemand aus diesem Dilemma ableitet, nun für eine rechtsradikale Partei zu stimmen oder gar nicht wählen zu gehen. Sich rauszuhalten ist mit Sicherheit ganz falsch“, sagt Sebastian Krumbiegel mit Blick auf die aktuelle Situation und den beängstigenden Rechtsruck, der fast überall spürbar geworden ist. 

Ich erzähle, wie ich die vergangenen Wochen hier in Elbe-Elster wahrgenommen habe. Wie sich politische Gräben durch Freundeskreise, Familien, Vereine und Job-Teams immer tiefer ziehen. Wie Ton und Rede-Inhalte bei öffentlichen Kundgebungen vor dem Herzberger Rathaus ins Unterirdische entgleiten und sogar wütend geäußerte Todesfantasien über Bundespolitiker im Nachhinein als gelebte Redefreiheit von den Veranstaltenden bagatellisiert, ja nahezu geadelt werden.

 

Wählen und Tee trinken 

 

„Auch hier gilt, bitte nicht raushalten“, wiederholt Sebastian Krumbiegel seine Worte von eben. „Klar dürfen wir uns nicht überschätzen. Wir können die Präsidentschaftswahl in den USA nicht beeinflussen. Aber, was hier in unserem Land passiert, können wir steuern, indem wir wählen. Es gibt nicht d i e Partei, die ich komplett geil finde. Aber ich finde bestimmt eine Partei, mit der ich eine ordentliche Schnittmenge an gesunden Ansichten teile“, zeigt er einen Weg auf, der sicher der glücklichere ist. 

Mir fällt genau jetzt das Duell der adligen Kavaliere wieder ein. Vor gut 350 Jahren wussten sie ihren Streit nicht besser zu lösen als mit Waffengewalt. Wie gut, dass wir seitdem ein Stück weitergekommen sind. Wie gut, dass wir aus der Geschichte gelernt haben. Wie gut, dass wir die Wahl haben! 

Und vielleicht wären wir alle momentan gut beraten, 200 Mark oder besser 100 Euro in Beruhigungstee zu investieren, um ein wenig friedvoller und fröhlicher gemeinsam durch diese haarigen Zeiten zu kommen.

Stephanie Kammer 

Mehr Plaudereien mit Sebastian Krumbiegel in Schlieben gibt es am

 

Dienstag, dem 11. Juni, um 19 Uhr im Drandorfhof in Schlieben.

 

Dazu viele Lieblingslieder des Leipzigers – eigene und von Rio Reiser, Udo Lindenberg und anderen Freunden.

 

Karten sind in der Tourist-Info im Drandorfhof und

in der BücherKammer in Herzberg zu haben.