„Sündenfall“ von Osteroda nach fünfzig Jahren aufgeklärt


Neues Buch über Osteroda-Redlin enthüllt das Verschwinden der Kirche I Buchpräsentation am 15.08.20 um 18 Uhr im Festzelt

Osteroda. Es gibt nicht viele Kirchen, die solch ein dramatisches Ende nahmen. Werden doch in den allermeisten Fällen Himmel und Hölle in Bewegung versetzt, um Kirchen zu erhalten. Der Kapelle in Osteroda erging es nicht so.  Sie wurde 1968 abgerissen und nie wiederaufgebaut. Eine neue Veröffentlichung über die Geschichte des Dorfes rekonstruiert erstmals dieses traurige Kapitel der hiesigen Geschichte, das in der Region einzigartig ist. 

 

„Es tut einfach weh. Dass unsere Fachwerkkirche abgerissen und nie wiederaufgebaut worden ist, das bedauern bis heute Viele im Dorf“, sagt Matthias Hensel, Ortsvorsteher und Kirchenältester von Osteroda. Er ist nicht der Einzige, der so denkt. Als sich am Ende vergangenen Jahres aus der Gemeinde eine Gruppe von Engagierten zusammenfand, um die 740 Jahre dokumentierte Ortsgeschichte für eine eigene Veröffentlichung aufzuarbeiten, wurde das Thema Kirche immer wieder angesprochen. Wie kam es zu diesem „Sündenfall“?

 

Im Archiv der evangelischen Kirche in Herzberg fanden die Geschichtsfreunde von Osteroda Unterstützung. Eine Akte enthielt etliche aussagekräftige Schriftwechsel, Fotos, eine Bauzeichnung und auch eine wertvolle Innenansicht. Kirchenbaureferent Heiko Müller freute sich über das Interesse am Thema. „In der Tat ist es ein einzigartiges Vorkommnis für unsere Region, obwohl in der frühen DDR Kirchenabrisse nichts Ungewöhnliches waren. Darüber hinaus kam es in Gebiet des heutigen Kirchenkreises allein in den Fünfzigerjahren zu drei Neubauten von evangelischen Gotteshäusern. In Elsterwerda Biehla, Schwarzheide und Lauchhammer“, reiht Heiko Müller das Geschehen in den zeitlichen und regionalen Kontext ein.

 

Das Buch zur Geschichte von Osteroda-Redlin
Das Buch zur Geschichte von Osteroda-Redlin

Der Blick in die Akten lässt das Dilemma offensichtlich werden: Osterodas Kirche hatte schon Jahre davor einen schweren Stand. Als Rittergutskapelle gehörte sie nicht zum Besitz der dortigen Parochie Malitschkendorf, auch wenn dort Gottesdienste angehalten worden sind. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden durch die Bodenreform Kirchengebäude und Grundbesitz in Volkseigentum übereignet. Der marode Fachwerkbau aus dem 18. Jahrhundert war damals schon sanierungsbedürftig. Bereits 1940 war der Kirchturm wegen Baufälligkeit abgetragen worden. 

 

Die Mittel, die benötigt worden wären, um den Erhalt des Gotteshauses zu sichern, fehlten in diesen und in den folgenden Jahren, was schwerwiegende Folgen haben sollte. Aus dem Jahr 1950 ist eine Beschreibung der Kirche erhalten geblieben. „Schlichte Kapellenanlage, in Fachwerkbau... Nach Neueindeckung des Kirchendaches Dacheindeckung in Ordnung. Eine Tür und verschiedene Fenster müssen erneuert werden. Kircheninnenraum hat freiliegende Holzbalkendecke, Chorabschluss flachbogig. Baulicher Zustand des Fachwerkes im Großen und Ganzen in Ordnung“, liest man im Besprechungsbericht zwischen Pfarrer Johannes Schmidt aus Schlieben und dem kirchlichen Bauamt der Kirchenprovinz Sachsen in Wittenberg. Später wurde noch auffälliges, erhaltenswertes Altarwerk beschrieben – eine gute Barockarbeit mit beachtlichen Bildhauerarbeiten in Form von Blumengehängen links und rechts vom Kanzelaltar. Dem Gemeindekirchenrat wurde empfohlen, die Eigentumsverhältnisse der Kirche zu klären.

 1952 beschloss die Gemeindevertretung von Osteroda die ehemalige Gutskirche und den Friedhof an die Kirche abzutreten. Das kirchliche Bauamt in Wittenberg sicherte daraufhin Baudarlehen und Baubeihilfen zu, beauflagte die Gemeinde mit der Erhaltung des Fachwerkcharakters und der Beibehaltung des Kircheninnenraums. Auch wurden dem Gemeindekirchenrat amtliche Beihilfen in Aussicht gestellt. Der Gemeindekirchenrat kam diesen Aufforderungen nach und lieferte Bauzeichnungen und Kostenaufstellungen. Die Beihilfen schienen jedoch nicht eine volle Kostenübernahme zu garantieren.

 

In der Folge traten Probleme auf. Geeignete Baufirmen waren schwer zu finden. Baumaterial fehlte. Zeit ging verloren, die Baufälligkeit nahm zu, obwohl erste Instandsetzungsmaßnahmen angefangen wurden. Nun kränkelte die Finanzierung vollends. Nicht alle Baukosten wollte das Konsistorium übernehmen. Der Gemeindekirchenrat Malitschkendorf sollte Restbeträge zahlen. Im gleichen Atemzug wurde das Gremium aufgefordert, zur Verfügung gestellte Mittel, die für die Instandsetzung der Osterodaer Kapelle gedacht waren, zurückzuzahlen. Der Gemeindekirchenrat hatte objektgebundene Gelder anderen Gemeinden darlehensweise überlassen. Offenbar waren die Bauarbeiten in Osteroda kräftig ins Stocken geraten. Nach all den Jahren war den Kirchenratsmitgliedern der Atem ausgegangen. Das Bauvorhaben Kapelle Osteroda überstieg aufgrund der fortgeschrittenen Baufälligkeit ein erträgliches Maß an zumutbaren Pflichten und Aufgaben für alle Verantwortlichen.

1963 war Osteroda Thema der Kreissynode in Herzberg: Gottesdienste seien dort nicht mehr zu verantworten, hieß es. Ein Jahr später wurde angeordnet, kostbare Inventarien, wie die Altarumkleidung von 1721, echte Handwebereien, sicher zu stellen. Zugleich hatte sich der Zustand der Kirche derart verschlechtert, dass erstmals ein Abriss zur Sprache kam. Allerdings wurde auch eine Instandsetzung noch für möglich gehalten. Dennoch zeichnete sich ab, dass das Schicksal des kleinen Gotteshauses besiegelt war, die geschätzten Instandsetzungskosten waren massiv gestiegen.

Ab Dezember 1966 setzte der zuständige Pfarrer im Einvernehmen mit den Kirchenältesten jegliche Gottesdienste aus. Es sei „eine Gotteslästerung und ein Hohn auf den Christenglauben, in einer solchen Kapelle noch Gottesdienst zu halten“. Es kam auch zur Sprache, dass die Osterodaer Mitglieder des Gemeindekirchenrates in Baufragen oft von den Malitschkendorfern überstimmt worden waren. Der Gemeindeverbund geriet in eine missliche Lage. Die Osterodaer Kapelle war ein Mammutprojekt und inzwischen waren auch die Malitschkendorfer Kirche und das dortige Pfarrhaus stark renovierungsbedürftig geworden.

 

Am 28.12.1966 wurde die Osterodaer Kirche mit sofortiger Wirkung von Seiten des Konsistoriums gesperrt. 1967 genehmigte das Institut für Denkmalpflege in Dresden den Abriss der Kapelle. Das Kreisbauamt in Herzberg beauflagte die Gemeinde mit dem immer dringender werdenden Abriss.

Im Januar 1968 kamen alle Beteiligten noch einmal zu einer Besichtigung der Kapelle zusammen. Im entsprechenden Bericht wurde favorisiert, aus dem abzureißenden Kirchengebäude einen Teilabriss zu machen, um so einen Gemeinderaum entstehen zu lassen. Die staatlichen Behörden hätten, so hieß es, keinerlei Interesse an dem Bau eines neuen kirchlichen Versammlungsortes in Osteroda. Deshalb sprach man sich für einen Teilabriss mit Neubau eines Gemeinderaums aus. Entsprechende Bauzeichnungen wurden angefertigt.

 

Es war schließlich Osterodas damaliger Bürgermeister Herbert Bauer, der den Vorschlag machte, den unausweichlichen Abriss durch das Nationale Aufbauwerk erledigen zu lassen. Des Weiteren schlug er vor, durch die politische Gemeinde eine Feierhalle mit Gemeinderaum errichten zu lassen. Seinem Vorschlag wurde nachgegeben.

Das Ende der Kapelle von Osteroda war gekommen. „Man dachte, ein Traktor würde genügen, um das geschundene Kirchengebäude zu Fall zu bringen. Doch das war ein Trugschluss. Noch ein Traktor wurde geholt, um dann Osterodas Gotteshaus zu Grabe zu tragen“, zeigt sich Matthias Hensel noch immer betroffen. Ein Schicksal, das mit der nötigen Entschlossenheit und einem Geldsegen hätte verhindert werden können. Aber dieses kleine Wunder blieb aus.

Stephanie Kammer 


Noch mehr Hintergründe zum Verschwinden der Kirche von Osteroda und zu 740 Jahren Gemeindegeschichte gibt es in Kürze. Am 15. August wird das Buch „Osteroda-Redlin – Geschichte auf der Spur“ beim Dorffest ab 18 Uhr vorgestellt.