Kampfansage an alle, die das Leben nicht die Bohne interessiert

Laudatio anlässlich der Ausstellungseröffnung „Ansichten in Farbe und Holz“ von Barbara und Jörg Böning am 29.02.2020

Barbara und Jörg Böning waren jahrzehntelang in Herzberg als Tierärzte tätig. Einblicke in ihr Kunstschaffen zeigen sie bis April 2020 im Schloss Grochwitz in Herzberg.                             (Fotos: stk) 

Eine besondere Melange aus Aktualität und diversen Stilen und Materialen präsentiert sich dem Besucher. 

Kennen Sie die Redewendung „Interessiert mich nicht die Bohne“? Man unterstreicht damit, wie wenig eine Sache oder Angelegenheit einem bedeutet. Seinen Ursprung hat dieser sinnbildliche Ausspruch im schon im 13. Jahrhundert. Er existiert genauso auch im Englischen und Französischen. 

Da wir heute ganz viele Bönings hier versammelt haben, hat auch die Bohne, als Ursprung des Familiennamens Böning, in unserer Mitte einen berechtigten Platz. Auch die Familiennamen entstanden im 13. und 14. Jahrhundert, als die Bohne, die dicke Saubohne in Abgrenzung zur eingewanderten Grünen Bohne, das Hauptnahrungsmittel der Europäer war. Wem wurde nun der Name „Böning“ verpasst? Vielleicht dem Bauern, der besonders erfolgreich Bohnen anbaute? Oder dem Bohnen- oder Erbsenzähler, dem entgegen dem Sprichwort jede einzelne Bohne ausgesprochen viel bedeutete? Oder war es derjenige, der am dichtesten dran wohnte, am Bohnenacker? 

Mich fasziniert diese Bohne jedenfalls. Sie ist klein, wird oft gering geschätzt und besitzt doch die Kraft, sich rasant und großflächig zu vermehren. Eine Bohne hinterlässt ihre Saat in der Welt, so viel ist klar. Sie ist Symbol für Leben und Gedeihen, für Einfluss und Lebenskraft. Für Natur. Für Vielfalt. Sie ist einfaches Futtermittel und Tafelfreude zugleich. Sie gehört in den Alltag und in den Außeralltag. Mit ihr verhält es sich wie mit Kunst: Und da wären wir beim Thema. Der eine erkennt in ihr nur den Zeitvertreib, die banale Beschäftigung mit einem Sachverhalt. Kunst interessiert einen solchen Menschen eigentlich nicht die Bohne. 

Und dann gibt es noch die anderen Zeitgenossen, die einen Blick besitzen für das Besondere. Sie haben ein Ohr, für das, was zu ihnen spricht: aktuelle Ereignisse, politische Wechselspiele, Urlaubserinnerungen, Begegnungen, Fremdeindrücke, Emotionen. All das lässt sich spiegeln in künstlerischen Unternehmungen. Und davon bekommen wir gerade eine enorme Bandbreite zu sehen.

Ich lade Sie alle ein, sich mit Zeit und Hingabe durch diese künstlerische Melange von Barbara und Jörg Böning zu bewegen. Die Holzskulpturen besitzen eine starke Physis, sie dürfen berührt und von allen Seiten betrachtet werden. „Ansichten in Holz“ werden dann für jeden, der sich interessiert, gut sichtbar. Hinzu kommen „Ansichten in Farbe“ von Barbara Böning, die daran erinnern, dass man sich nie unumstößlich festlegen sollte, denn daraus könnte ein eingeengter Holzweg werden und der endet bekanntermaßen hin und wieder mitten im Wald und nicht am gewünschten Ziel. „Ansichten in Holz u n d Farbe“ ergänzen sich demnach perfekt und gehören zusammen.

Das zeigt sich in vielen Lebensbereichen auch bei Familie Böning. Barbara Böning teilt mit ihrem Mann eine Tierliebe, die sogar soweit reichte, dass sie ihr gesamtes berufliches Wirken auf Tiermedizin ausgerichtet hatten. Wir sehen die Studien, die Barbara mit viel Detailfreude, angefertigt hat. Das Zusammenspiel von Anatomie, Funktionalität und natürlicher Vielfalt, hat sie begeistert und damit war ein Funke entfacht, mit Papier und Farbe vielfältigste Tierdarstellungen zu zaubern.

Jörg Böning lässt die Tierwelt ebenfalls nicht los. Der balzende Storch, der in diesem Raum als wachender Türsteher fungiert, mahnt zum Hierbleiben! Seine Brut, die Jungstörche, kehren naturgegeben Generation für Generation nach Hause zum heimischen Horst zurück. Der Ort, an dem sie das Licht der Welt erblickten, besitzt für sie einen Magnetismus, der sich tief in ihr Erbgut gebrannt hat. Selbst den langen Heimflug vollziehen sie wie im Schlaf. Sie finden immer zurück zu ihren Ursprüngen. Der balzende Storch legt seinen roten Schnabel direkt in die offene Wunde unserer Zeit: Abwanderung der Jugend, Überalterung in den zurückbleibenden Familien und Gemeinschaften und über allem die Frage, ob Heimat noch eine Menschenseele interessiert, welche Bedeutung sie speziell für die junge Generation besitzt. Jörg Böning berühren diese Fragen, das ist klar. Sein Storch im Liebestanz zeugt davon. Womöglich wünscht sich Jörg, a u c h mal wieder ein Tänzchen zu wagen?

Warum nicht mit seiner Frau Barbara. Auf künstlerischen Pfaden tanzt sie nämlich gern und zwar völlig frei in alle Richtungen, durch alle Stile. Es gibt ja Frauen, die dreißig Paar Schuhe benötigen, um glücklich zu sein. Barbara Böning nicht. Aber dreißig verschiedene Maltechniken, Inspirationen, Materialen könnten ihrem persönlichen Glück schon sehr zuträglich sein. Sie griff zu Farbe und Papier, um sich auf das zurück zu besinnen, was ihr schon als Kind Freude gemacht hatte: auf das Malen. Und das zu einem Zeitpunkt, als das Leben die Notbremse zog, um klar zu machen, was zählt: Gesundheit, Familie und eben Frohsinn. Die Porträts, die Barbara gemalt hat, setzen Zeichen – Lebenszeichen, dort wo das Herz Halt findet und das eigentliche Glück wohnt. 

Das ergänzende Gegenstück aus Holz liefert Jörg beispielsweise mit in sich verschlungenen, zusammengewachsenen Eheringen, die heute hier nicht zu sehen sind, aber dennoch viel über Zwischenmenschliches aussagen: Bindung wagen und halten. Aushalten. Durchhalten. Nicht immer leicht. Deshalb lohnt es sich auf dieses schöne lebendige Material hier zu klopfen: auf Holz. So wie es einst Bergarbeiter gemacht haben, bevor sie unter den Holzstützen im Stollen die Arbeit aufgenommen haben. Ihr Leben hing von der Festigkeit des Holzes ab. Menschliche Beziehungen und Holz haben eine Gemeinsamkeit: Sie sind tragfähig und fragil zugleich. 

Das gilt auch für ein anderes Objekt, für die Skulptur „Our home is on fire“. Der berühmte Satz von Greta Thunberg, ein Jeder kennt sie. Unsere Erde so zerbrechlich wie Holz, leicht zu entzünden, so verführerisch als Ressource und genauso unwiederbringlich, wenn sie einmal abgewirtschaftet ist. Ich würde mir wünschen, dass diese Skulptur kopiert werden würde. Eine Kopie für das Weiße Haus in Washington und eine Kopie für den Kreml. Doch ich vermute, dass es dort nur ausgemachte Holzköpfe gibt, die diese Existenzfrage nicht die Bohne interessiert.

Interesse kommt dagegen oft aus unerwarteter Richtung. Eine Frau, nennen wir sie Schecke, zeichnet irgendwo am Mittelmehr auf einer Insel schöne verspielte Stelen, die sich an einer kleinen Küstenpromenade befinden. Ein junger Bursche spielt mit anderen Steppkes Fußball und immer wieder wird die Stele zum Tor. Jubel und Siegestaumel bei den Kids. Der Junge sieht der Malerin beiläufig über die Schulter. Kommt immer wieder und erkennt, wie die Bleistiftzeichnung Form annimmt. Seine Neugier ist geweckt und schließlich sagt der kleine Kunstkenner: „Very good!“. 

Ein alter fremder Herr steckt der Malerin, die gerade ein Schiff, das im Hafen liegt, zeichnet, eine Dattel zu. Welch kostbarer Lohn! In einem butterweichen Sandstein am Meer entdeckte sie einen Schatz! Ein Wiedehopf, der sich aus dem weichen Naturmaterial ganz leicht modellieren ließ. Der Wiedehopf, der uns Menschen doch recht ähnlich ist. Mit seiner Federhaube sieht er sich gern als König. In Auseinandersetzungen tarnt er sich geschickt, wirft sich regungslos in den Sand und täuscht den Angreifer perfekt. Kommt man ihm und seinem Nest zu nahe, so setzt er sich mit aller Kraft zur Wehr, produziert wenig königlich Unmengen von Kot und wirft damit. Für gewöhnlich stinkt man nach solch einem Schlagabtausch wie ein Wiedehopf. Zu Recht. Denn der gewitzte arme Kerl ist vom Aussterben bedroht. Wie so viele. Ein Thema, das sich in zahlreichen aussagestarken Objekten von Jörg Böning wiederfindet: Korallenbleiche, Elfenbeinmafia, Plaste-Meer, die Feuerqualle. Würde uns jedes Tier, dessen Leben wir Menschen über unseren eigenen Lebensbedarf hinaus ausgelöscht haben, mit stinkenden Exkrementen bewerfen, so würden wir in dieser Suppe verdientermaßen ersaufen. Aber das interessiert die meisten nicht die Bohne. 

 

Ganz im Gegenteil: Der Mensch schwingt sich zu immer größeren Aufgaben auf. Er ist ein regelrechter „Schweinepriester“, hier als Skulptur über die Missbrauchsskandale der Kirche dargestellt. Er gibt immer wieder vor, redliche Absichten zu haben. Aber insgeheim tut er das, wovon er sich einen Vorteil verspricht. So züchtet er auch Mischwesen, bedient sich der genetischen Farbpalette und schöpft neue Wesen. Wissenschaft und Forschung sollen dem Menschen dienen, dem augenscheinlich Guten, und was ist das Ergebnis? Die Mächtigen dieser Welt werden uns damit überraschen, was aus der genetischen Zusammenführung von Mensch und Schwein entstehen kann. Ein neuer amerikanischer Präsident, frage ich da etwas ketzerisch? In diesem Jahr wählen die USA neu. Wir werden staunen. Jörg Böning hat mit seiner Skulptur „genmanipulierte Chimären“ viele aktuelle Fragen in natürlich schöne Formen gebracht. Sie sind geheimnisvoll und laden zu Gedankenspielen ein. Sind Sie mit dabei? 

Sie sehen, meine Damen und Herren, die Melange dieser Ausstellung ist gewagt. Sie provoziert und führt zu Denkanstößen. „Ansichten in Farbe und Holz“ sind ein buntes Spiegelbild zweier Menschen, die gemeinsam siebzig Jahre hinter sich gebracht haben. Was in ihren Herzen und Köpfen dabei Spuren hinterlassen hat, das sehen Sie hier. Es ist in künstlerischer Hinsicht Futtermittel und Tafelfreude zugleich. Es nährt und schmeckt. So wie die Bohne, die Bönings in ihrem Namen tragen.

 

Stephanie Kammer