Vierzig Prozent Können, der Rest ist Persönlichkeit  

Wie Janine Wienick ihren Fotos eine eigene Sprache schenkt

 

 

Berlin Hauptbahnhof. Hier schlägt der Puls einer Stadt, die wieder boomt. Hier verkehren dreihunderttausend Menschen. Einmal ganz Bonn, und das Tag für Tag. Züge fahren auf fünf Etagen in alle Richtungen. Schwindel erregende Höhenunterschiede. Dort, wo 2002 noch gelber Backstein romantisches Kleinstadtidyll versprühte, ticken heute Gegenwart und Zukunft mit Tempo im Gleichtakt. Das ist Berlin. 

 

Auf dem Washington-Platz steht eine junge Frau. Mit den Augen verfolgt sie ein Techtelmechtel – das Lichtspiel der Morgensonne auf der Spree. Ihr Blick gilt dem Besonderen. Auch ohne Kamera fängt sie Bilder ein. Hungrig hält sie Ausschau und entdeckt.

Janine Wienick ist Fotografin. Seit mehr als zehn Jahren lebt und arbeitet sie in der Hauptstadt. Seit einem Jahr als Selbstständige. Und das bekommt ihr ausgesprochen gut. Ihr Weg ist alles andere als gradlinig. Der Anfang liegt im Süd-Brandenburgischen Nirgendwo, in einem kleinen Dorf namens Arnsnesta. Wer dort aufwächst, lernt schon ganz früh zwischenmenschliches Geschick und Geselligkeit, aber auch Perfektionismus als persönlicher Anspruch an sich selbst. All das im Koffer und noch ganz ohne Fotoausrüstung strandet sie in Berlin. Arbeitet ab 2001 bei Karstadt und verkauft Heimtextilien. Das ABC der Wohnraumgestaltung geht ihr schnell in Fleisch und Blut über. Stoffe, Farben und Muster arrangieren, Effekte zaubern, eigene Kompositionen – immer wieder geht es um Emotionen, die durch das passende Ambiente erzeugt werden. Dafür entwickelt die Einzelhandelskauffrau ein gutes Gespür.

Karstadt bleibt sie viele Jahre treu. Der praktischen Erfahrung will sie jedoch zusätzlich ein festes Fundament verpassen. Sie studiert Innenarchitektur, findet Freude an optischen Täuschungen, zeichnet, nimmt erste Fotos auf. „Und damit war sie da!“, strahlt Janine. Die erste eigene Kamera, die sie genau zu diesem Zweck anschafft. Weitere Shootings folgen eher beiläufig: Die Hochzeit der Freundin, ein schicker Kalender zu Weihnachten, Aktfotos.

„Meine Ansprüche beim Fotografieren stiegen. Ich wollte sicherer werden“, weiß die junge Frau bald. Sie besucht für ein Jahr eine private Foto-Schule. Dort trifft sie auf Gleichgesinnte, auf umtriebige Geister, die genau wie sie, ihr Ding machen wollen. Karstadt läuft weiter. Sie powert pausenlos und landet am Ende in einer persönlichen, lichtdichten Dunkelkammer. „Ich begriff eins: In meinem Job werde ich mich nie kreativ austoben können. Ich wollte Spaß an der Arbeit haben. Aufgaben, die mich erfüllen.“ Mit der Erkenntnis allein ist der Weg für den Neuanfang noch nicht frei. Stirnrunzeln bei Freunden und der Familie. Eine Zerreißprobe.

Janine packt die Koffer, fliegt nach Neuseeland, um dort ihren Bruder zu treffen. Eine willkommene Auszeit, viereinhalb Wochen mit Rucksack am anderen Ende der Welt. Hier fängt sie zum ersten Mal seit Langem wieder an zu träumen. Fotos macht sie nur mit den Augen. Weite Wege zu Fuß, wenig reden, viel lesen, erinnert sie sich. Und mit einem Mal sitzt da ein anderes Wesen. Ein quirliger Wildfang, ungezähmt und kess, Janine aus dem kleinen Ort namens Nirgendwo, und sie erzählt ihre Geschichte. „Ich war allein an einem See, beobachtete die Vögel. Auf einem Holzsteg saßen unzählige Möwen. Eine flog los, zog sich einen dicken Fisch aus dem Wasser, kam zurück und alle anderen sahen ihr zu. Mann, dachte ich, fangt endlich an zu fliegen, es sind doch Fische für alle da!“ Damit war die Entscheidung gefallen. „Ich hatte etwas gesucht, und ich hatte es gefunden“.

Wieder zu Hause geht alles ganz schnell: Abschied von Karstadt, ohne jemand davon zu erzählen. Es folgt eine solide Vorbereitung mit viel professioneller Unterstützung. Philipp, ein Berliner Coach, begleitet ihren Startup mit dem kostbaren fremden Blick und glänzendem Know-How. Dazu gehört eine passende CI (Corporate Identity), eine Homepage mit Online-Bestellabwicklung für ihre Fotos, Kunden-Akquise und immerfort hingebungsvoller Netzwerk-Aufbau.  Ab 1. April 2013 ging Janine in die Vollen. Termine in Berlin, Mainz, Stuttgart, Heidelberg. Viele Hochzeiten, Abi-Bälle, dazu Workshops und Messen. „Meine Leistungsfähigkeit resultiert aus der Sympathie für meine Modelle und aus dem Spaß an der Fotografie“. Sie reizt besonders der emotionale Blick: Ausgefallene Orte, edle Möblierung dazu Straßenrandblumen und verspielte Modelle, die sie mit der Kamera barfuß umkreist. Kleinen wie Großen gibt sie ermunterndes Feedback. Hier ein Kompliment, da eine sanfte Korrektur, am Ende kumpelhaft die High Five.

„Vierzig Prozent meiner Arbeit bestehen aus Können, der Rest ist Persönlichkeit“, verrät die Fotografin mit warmer Offenheit. Das ist die Art, wie sie ihren Fotos eine eigene Sprache schenkt.

Stephanie Kammer


Homepage der Fotografin

www.janinewienick.de 


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