„Kacke im Bonbonpapier“ – Warum wir aufhören müssen, uns beschwindeln zu lassen

Persönlicher Rückblick auf "Eine Runde Tacheles mit" Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk in der BücherKammer


Realität radikal rausgeschält – Ilko-Sascha Kowalczuk zeigt klare Kante gegen kollektives Wegsehen (Fotos: Christin Poser & Stephanie Kammer)
Realität radikal rausgeschält – Ilko-Sascha Kowalczuk zeigt klare Kante gegen kollektives Wegsehen (Fotos: Christin Poser & Stephanie Kammer)

HERZBERG. Gestern Abend habe ich etwas über mich gelernt: Ich kann Hilfe annehmen!
Auch wenn ich mich gern als Löwin sehe, mich gut fühle, wenn andere bei mir Rat und Support suchen, bin ich manchmal ganz schön kleinmütig und wackelig unterwegs.

Gestern war Dr. Ilko-Sascha Kowalczuk zu Gast bei uns in der BücherKammer. Für mich war das dreifach stark: 

Ein kluger, kantiger Gesprächspartner, dessen Herz für Geschichte im Großen wie im Kleinen schlägt.
Zweitens: ein authentischer Gesprächspartner, dessen Stimme, Mundart und Lockerheit einen Dreiklang anschlägt, der extrem glaubwürdig ist und den Markenkern Mensch in sich trägt.
Drittens: eine überraschende Resonanz. Die Hütte wurde spontan voll, und viele – einschließlich mir – benutzten die scharfsinnigen Geschichtsanalysen Kowalczuks wie ein Trampolin, um hochhüpfend Blicke in die Zukunft zu erhaschen.

Was sich da auftat, war keinesfalls hoffnungsvoll, dafür aber klar und irgendwie verbindend: Wir steuern ziemlich sicher – global und lokal – auf ein autokratisches Zeitalter zu. Und gerade deshalb lohnt es sich zu kämpfen. Wofür?


Für die Freiheit und ihre kleinen Rückzugsinseln,

auf denen Menschsein und Wärme trotz Willkür und Tyrannei überleben.

 

Gezeigt hat mir das Herr Kowalczuk. Womit? Zuerst mit einer völlig unüblichen Geste: Er verzichtete auf sein Honorar. Das war schon wieder stark. Denn der Glanz und Schein von „Eine Runde Tacheles“ ist gar nicht so golden. Sprich: Rentabel ist die Gesprächsreihe nie – in Anbetracht von Aufwand und Zeit.

Ein Beispiel: Die Veranstaltung in Schlieben mit Sebastian Krumbiegel war ein echtes Geschenk, aber auch eine finanzielle Bauchlandung. Technik musste geliehen und eingekauft werden, da der Schliebener Drandorfhof da völlig zurückhängt. Das völlig berechtigte Künstlerhonorar war für die Kleinteiligkeit des Veranstaltungsortes viel zu hoch, und eine versprochene Rückendeckung – die kippte.

Und dann meine Anfrage an Ilko-Sascha Kowalczuk auf Empfehlung von Knut Abraham, unserem Bundestagsabgeordneten aus Dubro. Und Kowalczuk bot an, honorarfrei zu kommen!

Er fing auf, was zuvor weggerutscht war. Einfach so. Das ist nicht selbstverständlich. Ganz aus freien Stücken. Idealismus! Herz! Hilfsbereitschaft!

Völlig aus der Mode – und doch haben wir, habe ich, es so nötig. Das durfte ich lernen.

 

Ich sag es ganz offen und ehrlich: Mindestens drei Mal täglich frisst sich gierig bitterer Zweifel in meine Seele. Ich schmeiß den Mist hin! Mach es nie wieder! Wofür denn?

Für die Freiheit und ihre kleinen Rückzugsinseln, auf denen Menschsein und Wärme trotz Willkür und Tyrannei überleben. Gezeigt hat mir das Herr Kowalczuk.

Und wenn ihr das auch mal sehen wollt, kommt einfach zu unseren Veranstaltungen. Oder – noch besser – macht selbst welche!

Lasst euch nicht beschwindeln von denen, die erklären, dass wir wieder groß und glücklich wie einst werden. Das ist nicht mehr als Kacke im Bonbonpapier.

 

Was auf uns alle zurollen wird, ist weder süß noch duftend. Wenn wir das erkennen, können wir vielleicht vermeiden, dieses stinkende, üble Bonbon zu schlucken – und daran kaputtzugehen.

 

Stephanie Kammer