Wer möchte, dass Geschichte unsichtbar wird, der baue ihr ein Denkmal

Einweihung des Denkmals für die gefallenen Sowjetsoldaten und Antifaschisten, links Bürgermeister Gerhard Pohl.
Einweihung des Denkmals für die gefallenen Sowjetsoldaten und Antifaschisten, links Bürgermeister Gerhard Pohl.

MOTTENKISTENTOD. In Herzberg gibt es ein Denkmal für die gefallenen Sowjetsoldaten und deutschen Antifaschisten. In der Südpromenade, gleich in der Nähe des Parkplatzes am Bürgerzentrum. Vorvergangenen Sonntag rief ich einem jungen Mann, der dahinter Schutz suchte, um seinen Blasendruck loszuwerden, zu: „Das ist nicht der richtige Ort zum Pinkelieren!“ Er antworte trocken: „Das weiß ich“.

 

In einem großen Festakt wurde das Denkmal einst eingeweiht. Es hat künstlerischen Anspruch. Seine Botschaft ist gut. Schließt aber die zivilen Opfer des Weltkrieges aus. Inzwischen haben wohl mehr Leute dieses Denkmal als öffentliche Toilette benutzt, als dass Menschen beim Vorübergehen ernsthaft an die Schicksale der Weltkriegsopfer gedacht haben. 

NVA-Soldaten, Schüler und das Jugendblasorchester - ein Festakt, wie man ihn oft in der DDR gefeiert hat.
NVA-Soldaten, Schüler und das Jugendblasorchester - ein Festakt, wie man ihn oft in der DDR gefeiert hat.

Die Zeiten ändern sich. Erinnerung ändert sich. Ein anderes Beispiel: Unser alter, längst verstorbener Freund Kurt Hartwich erzählte gern, wie er Mitglied in der SED wurde. Bei einer Feierlichkeit in der Uferstraße, der SED-Kreisleitung, heute Bürgerzentrum, wurde unter anderem sein Parteieintritt zelebriert. Er hatte seine Mutter dazu mitgebracht. Sie sprach mit dem Genossen Dutschmann. Er war der Chef der Kreis-SED. Kurts Mutter war stolz. Ihr Sohnemann unter solch wichtigen Leuten. Sie erzählte, wie Kurti als kleiner Bub so war. Dass der Vater im Krieg gefallen war. Dass die Nachricht schon bald zuhause eintraf. Dass Kurti, als er das erfahren hatte, durchdrehte und mit einem Holzgewehr durch Herzberg lief und brüllte: "Ich knall alle Russen ab". Was Genosse Dutschmann darauf antwortete, ist nicht überliefert. Wahrscheinlich trank er einen Schnaps darauf.

Ich finde, eine solche Geschichte sagt mehr darüber aus, was wir Menschen in der Vergangenheit so alles falsch oder auch richtig gemacht haben. Mehr als manches Denkmal. Erinnerung ist wichtig. Aber nur, wenn sie mit Leben gefüllt wird. Wer möchte, dass Geschichte unsichtbar wird, der baue ihr ein Denkmal. Wenn Geschichte nicht mit Leben erfüllt wird, wenn es keine Erzähler gibt, die andere dafür entflammen, dann erleidet sie den Mottenkistentod.

 

Also, werde zum Retter. Erzähle deine Geschichte!

Stephanie Kammer