"Die meisten meiner tschechischen Mitbürger nehmen die Situation gelassen hin und hoffen, dass der „Spuk“ schnell vorbei ist"

Wie erleben die Exil-Herzberger derzeit den Ausbruch der Corona-Epidemie? Der Herzberger Mathias Becker berichtet aus Tschechien über die aktuelle Situation.

Im Elbe-Elster-Partnerkreis Ratibor in Polen trafen sich Landrat Christian Jaschinski und Mathias Becker vor einigen Monaten. Ratibor ist die polnische Nachbarstadt von Opava.
Im Elbe-Elster-Partnerkreis Ratibor in Polen trafen sich Landrat Christian Jaschinski und Mathias Becker vor einigen Monaten. Ratibor ist die polnische Nachbarstadt von Opava.

 

Mein Name ist Mathias Becker. Ich bin in Herzberg/Elster aufgewachsen und dort zur Schule gegangen. Viele Verwandte und Freunde leben bis heute dort. Seit 2009 lebe ich aus familiären und beruflichen Gründen in Tschechien, und zwar in Opava, einer Stadt mit ca. 60.000 Einwohnern. Die Stadt liegt in Mährisch-Schlesien im äußersten Osten des Landes an der polnischen Grenze. Opava ist eine alte, historische Stadt. Von den Einheimischen wird es oft auch „Klein-Wien“ oder die „Weiße Perle Schlesiens“ genannt. Viele schöne alte Gebäude aus der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie prägen das Bild der bis vor wenigen Tagen lebendigen Innenstadt. Früher wurde die Stadt auf Deutsch auch Troppau genannt. Bei Spaziergängen durch die überschaubare Altstadt genieße ich den Anblick der schönen Fassaden der Häuser aus der Gründerzeit.

Nach Zwischenstopps in Prag und Ostrava unterrichte ich seit 2019 „Deutsch als Fremdsprache“ an der Schlesischen Universität Opava. Die Universität ist relativ klein. Deutsch studieren nur wenige. Wenn jemand aber Deutsch studiert, dann tut er dies mit großer Leidenschaft. Viele unserer Studentinnen und Studenten wollen Deutschlehrer werden oder später in Deutschland arbeiten. Unsere Studenten fahren regelmäßig nach Deutschland, vor allem nach Würzburg, wo mit der dortigen Uni eine Erasmus-Partnerschaft besteht. In meinem Unterricht lernen meine Studenten viel über Deutschland und manchmal auch ein wenig über Brandenburg und Herzberg. Als Muttersprachler ist mein Unterricht besonders beliebt.

 

 

Stephanie Kammer von der BücherKammer in Herzberg, eine Schulfreundin, hat mich gebeten, etwas über meine aktuelle Situation hier in Opava zu schreiben. Dies ist im Moment gar nicht so einfach. Vieles ist für mich neu und ich muss die Ereignisse erst einmal verarbeiten. Tschechien ist zwar nicht China, aber auch hier gibt es Einschränkungen, und zwar vor allem im öffentlichen Leben. Hier eine kleine Zusammenfassung der letzten Tage: Seit zwei Wochen gibt es Meldungen über an Corona-Erkrankte in Tschechien. In Opava selbst gibt es noch keine Erkrankten, dennoch spüren wir die Einschränkungen, die der Virus mit sich bringt. Die Einschränkungen spüre ich vor allem an der Universität. Am Dienstag, dem 11.03.2020, wurden gegen Mittag plötzlich alle Vorlesungen abgesagt. Seitdem dürfen die Studentinnen und Studenten das Gebäude der Universität auf Anordnung des Rektors nicht mehr betreten. Für uns Lehrer:innen wurde Homeoffice angeordnet. (Zum Glück erhalte ich im Homeoffice von der Universität weiterhin das volle Gehalt.) Darüber hinaus gibt es an der Universität auch keine Sprechstunden und Prüfungen mehr. Die Uni wirkt wie ausgestorben. Auch eine Exkursion unserer Studenten nach Berlin wurde abgesagt. Zusammen mit den anderen Lehrerinnen und Lehrern versuchen wir, den Unterricht online aufrechtzuerhalten. Im Gegensatz zu mir nehmen die Studierenden die Situation gelassener hin und finden sich mit dem Homelearning schneller ab als ich. Erasmus-Studenten, die es auch an unserer Universität gibt, wurden aufgefordert das Land zu verlassen. 

Arbeitsort von Mathias Becker. Foto: By Zack.Evans941 - Own work, CC BY-SA 4.0,
Arbeitsort von Mathias Becker. Foto: By Zack.Evans941 - Own work, CC BY-SA 4.0,

Auch in anderen öffentlichen Bereichen kommt es zu Einschränkungen: Grund- und Oberschulen sind landesweit geschlossen. Unsere Sekretärin hat Probleme mit der Kinderbetreuung. Einige Mütter arbeiten, andere betreuen ihre Kinder. Hier herrscht ein wenig Unmut und Unwissen. Meine tschechischen Kolleginnen und Kollegen sprechen mir Mut zu und versichern mir, dass es hier nicht so schlimm werden wird. Ob Kitas noch offen sind, weiß ich nicht. Auch Gaststätten mussten in den letzten Tagen bereits um 20.00 Uhr schließen. Seit heute (14.03.2020) sind nun alle Gaststätten, Restaurants und Geschäfte geschlossen. Nun ist auch das Lieblingshobby vieler Tschechen, das Feierabendbier in der Kneipe, nicht mehr möglich. Man wird sich zu Hause treffen müssen. Und auch die Einkaufszentren sind geschlossen. Weiterhin geöffnet bleiben nur Lebensmittelgeschäfte, Apotheken, Geschäfte für Tierfutter, Drogerien und Augenoptikergeschäfte sowie Firmenkantinen. Obwohl einige Menschen in den letzten Wochen gehamstert haben, gibt es in den Lebensmittelgeschäften noch fast alles. Desinfektionsmittel und Atemschutzmasken fehlen. Besuche im Krankenhaus sind nicht mehr möglich. Die Tschechischen Bahnen haben den Verkehr ins Ausland komplett eingestellt. Man fühlt sich ein wenig isoliert. Seit heute, 14.03.2020, befinden wir uns auch offiziell im Ausnahmezustand. Bisher haben wir aber nur ca. 150 Coronavirus-Fälle im Land. Viele Maßnahmen werden getroffen und man hofft, dass etwas wirkt.

 

 

Persönlich macht sich bei mir ein wenig Angst breit. Viele Fragen schießen einem durch den Kopf. Was machen die Angehörigen in Herzberg? Was machen die Eltern? Ist man in Deutschland so gut informiert wie hier? Kann ich nach Deutschland ausreisen, wenn in der alten Heimat etwas passiert? Ich stehe mit der Botschaft in Kontakt. Dort hat man mich beruhigt, die Ausreise nach Deutschland ist für mich jederzeit möglich und Brandenburg gehöre nicht zu den stark betroffenen Gebieten. Dennoch wurden an der deutsch-tschechischen Grenze feste Grenzkontrollen eingeführt und einige Grenzübergänge abgeriegelt. Auch in das nahe gelegene Polen darf ich nicht mehr. Das Land schottet sich ab. Dürfen Pendler weiterhin nach Deutschland? Und was wird meine Chefin sagen, wenn ich plötzlich nach Deutschland möchte? Der Fragen nehmen zu. Facebook erweist sich oft als keine gute Informationsquelle. Dennoch kann man über Facebook Kontakt mit Freunden und Angehörigen – nicht nur in Deutschland – halten. Dies ist gerade in diesen für alle schwierigen Zeiten wichtig. Die von der tschechischen Regierung getroffenen Maßnahmen sind sicherlich wichtig. Der Virus ist gefährlicher, als man denkt. Ansonsten bestimmt Langeweile den Alltag. Ich versuche, für meine Studierenden Hausaufgaben und Prüfungen zu erstellen. Dies erweist sich als nicht so einfach, aber mittlerweile habe ich einen Weg gefunden, wie man digital so halbwegs unterrichtet. Ich erstelle für die Studentinnen und Studenten Übungen, meist verwende ich dazu Videos, die ich im Netz finde. Die Studierenden fassen dann den Inhalt zusammen oder ich kontrolliere ihre Aufgaben.

 

 

Zusammenfassend kann man sagen, dass ich die Nachteile dieser Situation schon recht stark fühle. Die populistische Regierung will zeigen, dass sie viel macht. Dies ist auch bei einer Pandemie verständlich. Meiner Meinung nach muss man die Maßnahmen auch besser kommunizieren, vor allem an Ausländer, ältere Leute, Behinderte und andere Gruppen. Als EU-Bürger bekomme ich nicht immer alles aus den Medien mit und bin oft überrascht. Mich als ehemaligen DDR-Bürger stören aber vor allem die Grenzschließungen. Nicht jederzeit nach Deutschland ein- und ausreisen zu können, macht mir ein wenig Angst. Man sollte eine europäische Lösung finden. Ich versuche, das Beste aus meiner Situation zu machen. Oft gehe ich hinaus in die schöne Umgebung oder fahre mit dem Auto in die nah gelegenen Ausläufer des Altvatergebirges. Die Situation ist ernst. Die meisten meiner tschechischen Mitbürger nehmen die Situation gelassen hin und hoffen, dass der „Spuk“ schnell vorbei ist. Wie sich die Lage entwickelt, weiß ich nicht. Auf alle Fälle muss man vorbereitet sein, nur so kann man Ansteckungen vermeiden. Es gilt Ruhe zu bewahren. Ich hoffe, dass unsere ruhige alte Stadt bald wieder zu ihrem alten Leben zurückkehrt.

Mathias Becker