Herzberg am Vorabend des Zweiten Weltkrieges

Ein Rückblick nach 80 Jahren / Am 2. Oktober Buchpräsentation im Bürgerzentrum

Herzberg. Der 1. September 1939 ist ein Schicksalstag für alle. Der Zweite Weltkrieg wird von Hitler-Deutschland entfacht. Der Preis, den dieses Fiasko fordert, ist unvorstellbar hoch: Gigantische Zerstörung in Europa und ein bisher unbekanntes Massensterben. Der Krieg verlangt 65 Millionen Menschenleben, das sind mehr als 1.000 Todesopfer stündlich, etwa 100 von ihnen werden Deutsche sein. Von all dem ahnt man am 1. September 1939 nichts. Wer jedoch durch die Lesebrille der Lokalgeschichte ins Herzberg der späten dreißiger Jahre schaut, wird überrascht sein, wie viele Anhaltspunkte es für die Kriegspläne der Nationalsozialisten und für den bevorstehenden Niedergang von Recht und Menschlichkeit gibt. Und das gut sichtbar im Regionalen, vor den bekannten Schauplätzen, die vielen Menschen auch heute wohl vertraut sind. 

 

Herzberg 1939. Der sogenannte Führerstaat durchdringt alle Lebensbereiche. NSDAP-treue Funktionäre sitzen in Führungspositionen und Gremien. Die Bevölkerung ist durch inzwischen linientreue Vereine und verschiedenste NS-Gliederungen erfasst und in den Dienst der Gesellschaft gestellt. Politisch Andersdenkende sind längst von der Bildfläche verschwunden. Es bleiben maximal Nischen und das rein Private für kritischen Geist.

Der mächtigste Mann in Herzberg und im Kreis heißt Reinhold Fritsch, NSDAP-Kreisleiter und Bürgermeister bis 1945. Der ehemalige Bergarbeiter aus Sondershausen hat „Erfolge“ vorzuweisen, deren Anfänge oft in den politischen Genesungsmaßnahmen der Weimarer Zeit zu suchen sind.

NS-Ideologie macht auch vor den Jüngsten nicht halt: Herzberger Kinder in einem Wehrmachtsfahrzeug 1938. 

In den Zeitungen und regionalen Veröffentlichungen wie dem Heimatkalender sprechen dieser Tage parallel zu Propaganda und politischem Pathos Hoffnung und Aufbruch. Denn die Notzeit scheint überwunden. 

Bereits im September 1934 wird im Kreis Schweinitz eine erste Verdunklungsübung für den Luftschutz durchgeführt. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht wird gefeiert. 1935 gründen sich hiesige Ortsgruppen des Reichsluftschutzbundes. In diesen Tagen träumt Reinhold Fritsch vom Bau eines Flugplatzes, der jedoch nicht realisiert wird. Dafür wird vielerorts gebaut und erneuert.

Die Herzbergerinnen werden für Sanitätszüge und als Helferinnen des vaterländischen Frauenvereins geworben. 1936 informiert Fritsch per Telegramm Adolf Hitler persönlich über die Reichstagswahl im Kreis:

 

 

 

 

 

„Melde meinem Führer, dass im Kreis Schweinitz … von den 99,9 Prozent abgegebenen Stimmen 99,7 Prozent für Sie gestimmt haben!“. 

 

 

 

 

 

 

 

 

Reinhold Fritsch (2.v.l.) NSDAP-Kreisleiter und Bürgermeister von Herzberg bis 1945 

Uniformen gehören 1939 längst zum Alltag in Herzberg : Die Wehrmacht marschiert durch die Torgauer Straße, hier vorbei am Abzweig Lugstraße.

In Herzberg steht der Nationalsozialismus wie im gesamten Reich auf festen Säulen. Es wird bescheiden gelebt, „richtig“ gewählt und gedacht. Im November 1938 werden Pogrome gegen die wenigen jüdisch stämmigen Deutschen in Herzberg und Umgebung unter Fritschs Federführung umgesetzt. Das Herzberger Kaufmannspaar Schlesinger, jetzt als jüdisch etikettiert, verliert Geschäft, Grundstück und bald das eigene Leben. 1939 geht die leistungsfähigste Rundfunksendeanlage Europas in Betrieb, trägt die NS-Propaganda zuverlässig in jedes Wohnzimmer. Der Deutschland-Sender steht in Herzberg. Ende August 1939 werden bereits die ersten Lebensmittelkarten in Herzberg ausgegeben, bereits wenige Tage vor dem fingierten, allerorts propagierten polnischen Überfall auf den Sender Gleiwitz. Alle Vorzeichen sind auf Krieg gestellt. Die Wirtschaft rüstet, die Vorratslager sind nach guten Ernten voll. Deutschland zieht am 1. September 1939 siegessicher in den Krieg, ins selbstgemachte Verderben, reißt Millionen Unschuldige mit sich und Herzberg ist mittendrin. 

Stephanie Kammer 


 

 

 

Ab Anfang September gibt es das Buch

"Herzberg unterm Hakenkreuz"

von Stephanie Kammer und Ulf Lehmann

in der BücherKammer.

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