Warum wollten wir nur und haben nicht

Die Ausweisung der zehnköpfigen Familie Anzorov ist auch unsere Schuld

Letzmalig spielten am vergangenem Mittwoch (17.12.2014) die Anzorov-Schwestern Amina und Aza (vorn) mit ihren Herzberger Freunden.
Letzmalig spielten am vergangenem Mittwoch (17.12.2014) die Anzorov-Schwestern Amina und Aza (vorn) mit ihren Herzberger Freunden.

Der Zaun des Herzberger Flüchlingsheims wird derzeit noch höher gezogen. Er erhält einen Sichtschutz. Künftig wird es also noch leichter wegzusehen. Wie einfach es ist, die Augen vor der Not anderer zu verschließen, haben wir alle sechs Tage vor Weihnachten gezeigt. Familie Anzorov wurde am Donnerstag nach Tschetschenien ausgewiesen. Als heimgeschickte politische Flüchtlinge blüht ihnen in Grosny kein warmes Willkommen. Tschetschenische Winter sind mit 30 Grad minus eiskalt. Und genau so wird sich ihr Empfang zu Hause gestaltet haben. 

Von düsteren Gedanken war einen Tag vor der Abreise wenig zu spüren. Denn plötzlich tat sich Hoffnung auf. Aufgrund des RUNDSCHAU-Beitrages versuchten in letzter Minute viele Menschen zu helfen. Ein Schliebener Bauunternehmer mit großem Herz bemühte sich mit aller Kraft, eine Bleibeerlaubnis durch ein Arbeitsangebot zu erreichen. Am Ende erfolglos.

Am Abend schlossen sich Mütter, deren Kinder mit den tschetschenischen Mädchen der Familie befreundet waren, zusammen, um eine mögliche Sicherstellung der Familie zu organisieren. Kirchenasyl als allerletzter Lichtblick. Aktionismus und tiefe menschliche Betroffenheit auf der einen Seite und wenig zuverlässiges Wissen über Asylrecht und amtliche Verfahrenswege auf der anderen. Am Ende des Abends siegte die Ohnmacht. Am Mut, für eine große Familie monatelang Verantwortung, die gesamte Versorgung und Betreuung zu übernehmen, fehlte es.

Im Rückblick erscheint dies besonders bedauerlich. Der Bauingenieur Shamsy und seine Frau Zerema, sie war Maskenbildnerin am Theater, hätten mit den aufgeweckten schlauen Kindern eine echte Bereicherung für die Stadt sein können. Sie brachten sich bei Treffen der evangelischen Kirche ein. Die Kinder verstanden und sprachen bereits Deutsch. Einheimische Kinder besuchten sie im Heim und blieben zum Spielen. Umgekehrt vergnügten sich Aza, Amina und ihre Geschwister in Herzberger Kinderzimmern. Die katholische Kirchengemeinde sammelte für Anzorovs. Am vierten Advent hätten die Geschenke übergeben werden sollen. Dazu kam es nicht.

Der Ratschlag von amtlicher Seite, keine Bindung zu den Asylanten aufzubauen, wurde von vielen Herzbergern glücklicherweise missachtet. Von den Amtsträgern, die sich noch vor einem Jahr vor dem neu eröffnetem Heim lächelnd ablichten ließen, setzte sich keiner für sie ein.

 

Familie Anzorov ist weg. Niemand weiß, was aus ihnen wird. Was bleibt, ist das Gefühl der unterlassenen Hilfe. Vom reinen Helfenwollen wird niemand gerettet. Es ist an der Zeit, es tatsächlich zu tun. Ein Arbeitskreis Asyl mit regelmäßigen Treffen und fachlichem Knowhow wäre ein Anfang. 

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Kommentare: 1
  • #1

    Dirk Hannemann (Freitag, 19 Dezember 2014 15:34)

    Ganz furchtbar. Bis in's Detail: sogar Gerichtsvollzieher kennen eine Scham vor den Weihnachtstagen, gilt scheinbar nicht für Deportationen.

    Der letzte Blog-Eintrag hier handelte davon, dass aktive, junge Menschen den ländlichen Raum verlassen, ja?