Ein persönlicher Wunschzettel
Der Advent hält in diesem Jahr nicht, was er verspricht. Zumindest nicht in Herzberg, nicht in Falkenberg, nicht in Schlieben. Advent - die Zeit der Erwartung und der Ankunft. Mal ehrlich! Klingt das nicht nach Hohn und Spott? Zeit des Abschieds wäre wohl passender. Die evangelische Gemeinde steht ohne Pfarrerin da. Die katholische Kirche sagt im Januar ihrem geschätzten Pfarrer Werner aus Falkenberg traurig: „Auf Wiedersehen“. Und auch Schlieben muss künftig ohne Pfarrer Schönfeld zurecht kommen.
Was bleibt, sind bohrende Gedanken: Wieder geht jemand. Wieder jemand aus den Reihen der ohnehin schon überschaubaren Aktiven. Wieder das Gefühl, dass unser Fleckchen Erde nicht zureichend ist. Ein Ort des Verlassens. Schlagartig hab ich den Satz eines Freundes im Kopf. „Wir begleiten hier einen Sterbeprozess“. Ehrlich, dieser Advent ist nichts für Feiglinge.
Meine Kinder sitzen über ihren Wunschzetteln. Sie reden aufgeregt durcheinander. Playmobil oder Lego. Ich sage: „Schreibt jetzt mal all eure Wünsche auf, die man nicht im Laden kaufen kann!“ Protestgeschrei. „Wir wollen aber Spielzeug!!!“ Die Kraft für Diskussionen und Erklärungen spare ich auf. Mir kommt eine Idee.
Ich nehme mir einen Wunschzettel vor. Ist mein ganz persönlicher. Ich schreibe:
„Liebes Christkind , lieber Weihnachtsmann, liebes Wichtel- Kollektiv,
wie habt Ihr es gut. Ihr seid noch ein tüchtiges, fein aufgestelltes Team. Personalreformen, Stellenkürzungen und Umstrukturierungen haben Euch bisher nicht eingeholt. Eure Besatzung ist komplett und zieht den Weihnachtskarren mit vereinten Kräften Richtung Jahresende. Wisst Ihr, hier unten bei uns, ist das anders. Gezogen wird unser Karren von immer weniger Leuten bei zu beschleunigendem Tempo mit zunehmender Last. Das Ergebnis: Uns gehen so langsam die Zugpferde durch. Was sollen wir machen?
Ach ja, Weihnachten steht vor der Tür. Die Zeit des Wünschens. Ich kann es ja mal probieren.
Ich wünsche uns Mut, Dinge mal anders zu machen. So wie der Schmiede-Weihnachtsmarkt in Herzberg vergangene Woche. Durch neue Ideen hatte er ein ganz anderes, eigenes Flair hervor gezaubert. Ich wünsche uns echte Zufriedenheit mit kleinen und eigenständigen Lösungen. Statt großer Erwartungen und Träume, Besinnung auf das, was wir selbst aus eigener Kraft gut schaffen und leisten können. Ohne sich klein zu denken. Ohne sich größer machen zu wollen. Ohne Forderungen an andere zu richten.
Ich wünsche uns mehr Waschtage. Ja. Vor allem unter den Strippenziehern. Läuft etwas gegen den Baum, bitte raus damit. Sich gegenseitig den Kopf waschen, um danach mit einer sauberen Lösung gemeinsam glänzen zu können. Das täte unseren Stadtverordneten genauso gut wie den Kirchengemeinden und Vereinen. Warum wird so wenig ehrlich gestritten? Ich wünsche mir also auch viel mehr anständigen Streit, gutes Redeklima und den aufrichtigen Willen zum Händereichen. Besonders unter den Mächtigen. Unter denen, die Widerspruch gar nicht mehr kennen.
Ach und da wäre noch das Gute. Ich wünsche uns Gutsichtigkeit. Als Brillenträgerin weiß ich, wie hilflos man sich fühlt, wenn die Augen nicht GUT sehen. Ja, wer nur noch das Schlechte sieht, bemerkt vielleicht gar nicht, dass es jetzt den geschmackvollen Elsterpark am Flussufer gibt. Dass eine herrliche Schlossnacht im Grochwitzer Park zelebriert worden ist. Dass Theater gespielt wird, dass in den Herzberger „Katakomben“ gefeiert, getanzt und gerauscht wird. Es wird gebaut. Es gibt Arbeit. Die Stadt grünt und blüht in den warmen Jahreszeiten. Menschen aus fremden Ländern möchten hier sogar ein neues Zuhause finden. Wäre gut, wenn sie blieben. Wir brauchen hier nämlich so ein bisschen Hilfe mit unserem Karren.
Also zu guter Letzt: Ich wünsche uns allen die Fähigkeit teilen zu können. Teilen ohne anschließend aufzurechnen. Teilen, sodass der Andere erkennt, dass auch er etwas geben kann. Dass er nützlich ist und gebraucht wird. Und hier bleibt. Kann doch sein, dass sie dann ein ganzes Stück näher rückt, die Zeit der Erwartung und der Ankunft. Bleibt mir zu sagen: Dann komm mal, lieber Advent! Halt dich ran! In Falkenberg, in Schlieben und ganz besonders in Herzberg.“
Stephanie Kammer
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Dirk Hannemann (Dienstag, 09 Dezember 2014 22:35)
Mehr Offenheit, mehr Herzlichkeit und mehr konstruktive Auseinandersetzung, das ist wirklich ein guter Wunschzettel! Es macht traurig, dass einige Stützen des gesellschaftlichen Lebens nächstes Jahr nicht mehr da sein werden. Der Wunschzettel gilt aber auch für die Menschen in Berlin-Friedrichshain, wo ich wohne, und Frankfurt am Main, wo ich häufig arbeite. Es sind sehr laute, dynamische Orte mit vielen jungen und natürlich auch älteren Menschen, die alle engagiert ihre privaten und beruflichen Ziele verfolgen und um ihr bisschen Glück im Leben kämpfen. Gibt es hier mehr Austausch? Eigentlich auch nicht. Mehr Small Talk, ja. Flüchtige Reize für das Auge, ja. Aber wirklichen, guten Austausch über die wichtigen Sachen im Leben? Man lebt doch größtenteils hektisch aneinander vorbei. Von Berlin aus betrachtet, scheinen die Chancen eigentlich viel größer, in Orten wie Herzberg, Falkenberg und Schlieben in guten Kontakt miteinander zu treten und eine lebendige Gemeinschaft aufzubauen. "Ich habe die Stadt gerade so satt", höre ich jetzt sehr oft. Die junge Friseurin in meinem kultigen Friseurladen erzählt so gerne von ihrer Heimat in Sachsen-Anhalt. Studien haben übrigens herausgefunden, dass die Leute unglücklicher sind, wenn sie im chinesischen Restaurant eine Karte mit 170 Gerichten zur Auswahl haben. Sie nehmen nach langem Überlegen Gericht Nr. 62, aber es verlässt sie nie der Gedanke, dss vielleicht Nr. 114 oder Nr. 23 doch die bessere Wahl gewesen wären. Dann sind sie unzufrieden. Deswegen haben gute Restaurants heute meist nur 6 oder 7 Gerichte auf der Karte. Mir kommt ein Gedanke - vielleicht müssen wir gar nicht auf das Christkind warten und können uns den Wunsch nach Offenheit, Herzlichkeit, Austausch selbst erfüllen. Lasst uns doch damit anfangen, die Aktiven zu unterstützen, die Initiative zeigen. Ich zum Beispiel schätze Buchläden, sie sind oft meine einzige Anlaufstation in einer Stadt, wie in Frankfurt das Hugendubel. In Berlin hat das Medienkaufhaus schon zugemacht, München folgt. In Herzberg gibt es wohl einen ähnlichen Hort der Kultur und des Geistes und der menschlichen Begegnung. Passt gut auf ihn auf. Ich verschenke dieses Jahr wieder viele Bücher, weil es tolle Präsente sind. Wenn ich sie lokal kaufe, beschenke ich mich auch noch selbst.