Gleitgel, Galaktika und die 100 Besonderheiten Herzbergs

Die ScHerzberger verneigen sich vor ihrem Publikum mit einem lauten „Po-maka-Bumm“


Wir ScHerzberger – Ines Medenwald, Reinhard Straach, Christian Poser, Günter Schulze und ich, Stephanie Kammer – haben dieses Stück ganz ohne Förderung oder Mäzene gestemmt. Am Klavier hat Sebastian Pöschl frei improvisiert. (Fotos: Stefan Kaatz)
Wir ScHerzberger – Ines Medenwald, Reinhard Straach, Christian Poser, Günter Schulze und ich, Stephanie Kammer – haben dieses Stück ganz ohne Förderung oder Mäzene gestemmt. Am Klavier hat Sebastian Pöschl frei improvisiert. (Fotos: Stefan Kaatz)

HERZBERG/MERZBERG/SCHMERZBERG? Wenn wir auf die letzten Aufführungen zurückblicken, sehe ich viele kleine Funken, die sich zu einem wilden Feuerwerk verbunden haben.

Da war Ines, die als Podcasterin den Abend eröffnete. Mit „Gleitsichtbrille und Gleitgel – nur heute bei ALDI im Kombi-Rabatt-Pack“ hat sie das Publikum aufgewärmt und zum Kichern gebracht. Hinter der Komik lag eine feurige Spitze: Konsumwahn und ewige Jugendfixierung.

 

Dann Tarzans Ankunft. Christian Poser stieg aus der Überseekiste. Brüllte, tanzte, sang „Po-maka-bumm“ und verwandelte absurde Gesten in eine fast poetische Einladung. Das Tierische wurde zu Zärtlichkeit, als er seinen (Bühnen-)Vater Reinhard Straach erkannte – ein Überraschungsmoment, der die Zuschauerherzen frontal ansprang wie Tarzan seinen langersehnten „Baboun“ Reini.

Als einer der schärfsten Spiegel schlich sich beim Publikum das Lied von den „10 kleinen Herzbergern“ ins Ohr – bissige Seitenhiebe im Kinderliedformat.

Mit den Zeilen

„Zehn kleine Herzberger vergessen, wer sie sind. Sie surfen, zocken, meckern viel,

ihr Leben das verrinnt“

tat der Humor in der Herzgegend richtig weh. Wir haben gelacht und doch gewusst: Hier wird ein Stück Wahrheit entblößt.

Als Galaktika durfte ich die Bühne in ein kosmisches Gericht verwandeln. Mit ihrem Bannspruch „Ihr habt den Fluch über euch selbst gebracht – den Fluch der Vergessenheit, der Selbstsucht, des Hochmuts und des billigen Konsums“ wurde das Stück dunkel und ernst. In diesem Moment war der ganze Raim 1 totenstill.

Und gleich darauf folgte die Gegenbewegung: Ines machte mit dem Podcast-Projekt „100 x Herzberg“ klar, dass wir unsere guten Geschichten selbst bewahren müssen. Die Szenen über Wuras, Schwimmmeister Mühle oder den Schmied erinnerten daran, dass Herzberg viel mehr ist als kleinstädtische Lebenskulisse. Der Clou: Das steckt ein Meta-Theater im Theater. Mit der Mischung aus echten Geschichtsfakten, persönlichen Erinnerungen und performativen Erfindungen gingen Herzbergs Glanzpunkte in Serie bis zur Totalerschöpfung der zeitveredelten Podcasterin Ines.

 

Ganz am Schluss sangen wir die Tarzan-Hymne auf die Melodie des Deutschlandliedes. „Herzberg ist die Stadt der Liebe, 100 Mal hab’n wir’s gezeigt“ – das war ein Moment des gemeinsamen Singens, der die Grenzen zwischen Bühne und Zuschauerraum aufhob und alle zusammenrücken ließ.

 

Mir blieb immer der Satz des blinden Alt-Herzberger Motocross-Fans (Reinhard Straach) im Kopf: „Sehen, ohne zu verstehen, ist viel schlimmer als Blindsein. Die einzige wirkliche Behinderung im Leben ist ein schlechter Charakter. Oder ein Mangel an Träumen.“

Dieser Gedanke hat sich mir ins Herz geschrieben, gerade in einer Zeit, die oft eng und grau wirken will.

Wir ScHerzberger – Ines Medenwald, Reinhard Straach, Christian Poser, Günter Schulze und ich, Stephanie Kammer – haben dieses Stück ganz ohne Förderung oder Mäzene gestemmt. Am Klavier hat Sebastian Pöschl frei improvisiert. Wir spielten viele Rollen, tauschten Masken, Stimmen und Perspektiven, und gerade darin lag unsere einzigartige Freiheit.

 

Am 18. und 19. Oktober werden wir die letzten beiden Aufführungen wagen. Wir danken einem wilden, zutiefst menschlichen Publikum, das lachte, sang und die schönste Insel der Menschlichkeit mit uns neu entdeckte – Herzberg!

Und damit sind wir bei der Frage, die über das Theater hinausgeht:

Stellen Sie sich eine solche Insel der Menschlichkeit mal kurz vor. Schließen Sie die Augen. Zeichnen Sie diese Insel in Ihrem Kopf grau, braun – oder eher bunt? Der Herzberger Missionar Wuras predigte im Stück:

„Herr, Du hast die Welt in Farben gemalt – nicht in Grau. Nicht in Braun. Wer da sagt, Herzberg sei zu bunt, hat deine Schöpfung nicht verstanden. Vielfalt ist kein Fehler, sie ist dein Wille.

Selig sind die, die Frieden stiften und nicht die, die neue Mauern errichten.“

 

Herzberg bleibt – davon bin ich überzeugt – eine Insel der Menschlichkeit.

Und wenn die Flut des Alltags uns doch wieder mal zu ohrfeigen droht, dann reicht vielleicht schon ein andächtiges „Po-maka-Bumm“, und schon zieht Galaktika den Vorhang für eine neue Hoffnungsgeschichte auf.

 Stephanie Kammer