
Samstag, 14 Uhr. Einige Menschen stehen auf dem Herzberger Markt. Dort, wo sonst Händler ihre Waren anbieten, steht heute ein umfunktionierter LKW, der zur Bühne geworden ist. Ein Strauß Sonnenblumen, das Peace-Zeichen auf der Rückwand, und viele, viele gefaltete Kraniche, die an Seilen hängen.
Man spürt: Mit viel Liebe wurde hier eine Veranstaltung zum Gedenken an die Atombombenabwürfe vor 80 Jahren vorbereitet.
Angemeldet von der Linken, organisiert von der evangelischen Kirche – hier wollen heute alle gemeinsam laut über Frieden nachdenken. Pfarrer Alexander Barth hatte mich vor einiger Zeit angesprochen und um einen Redebeitrag gebeten. Ich hatte ohne lang zu überlegen zugesagt. Wer könnte einem so herzlichen Pfarrer auch einen Wunsch abschlagen? Ich jedenfalls nicht.
Ein kurzer Moment des Zögerns
Punkt 14 Uhr kam ich auf den Markt. Ich sah das Fähnchen der Linken und dachte kurz: „Mist. Hättest du nicht vorher fragen sollen, wer hier eigentlich der Einladende ist?“
Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf: Wenn jetzt jemand ein Foto von mir am Rednerpult macht – und im Hintergrund das Fahnen-Segel der Linken zu sehen ist – dann hagelt es wieder Social-Media-Kommentare wie „die rote Kammer“ oder „links-grün versifft“.
Für einen Moment fragte ich mich: Gehst du lieber?
Doch dann erinnerte ich mich: Es soll heute um Frieden gehen.
Und Frieden ist kein Zustand, keine Selbstverständlichkeit.
Frieden ist Arbeit. Er muss immer wieder errungen werden.
Dafür kann und muss jeder Einzelne eintreten – genau das steht auch in meinem Redemanuskript.
Und jetzt kneifen? Nein. Ich blieb. Und das war gut so.

Die Stimmen des Tages
Reinhard Straach führte durch die Veranstaltung – und man merkte sofort: Mikrofon, Bühne, Applaus – das liegt in seiner DNA. Vor allem aber lag ihm das Thema am Herzen. Seine Botschaft: Menschen
sollen nicht aufeinander losgehen. Einfach. Ehrlich.
Johannes Hilbrich aus Schlieben spielte auf seiner Trompete das Hiroshima Requiem. Ein stiller, eindringlicher Moment. Bürgermeister Karsten Eule-Prütz sprach über Musik, über die vielen Songs, die zu diesem Thema geschrieben wurden. Wer sich Zeit nimmt, diese Botschaften zu hören, der versteht auch, worum es geht.
Karsten Feld las Erfahrungsberichte von Überlebenden vor – Bilder, die sich ins Gedächtnis brennen.
Ein Atomphysiker aus Elsterwerda erklärte die Folgen der Bombenabwürfe in klaren, nüchternen Worten – gerade deshalb so eindringlich.
Von der Linken sprach ein junger Mann, dessen ehrliche Besorgnis und reflektierte Worte berührten.
Pfarrer Barth selbst erinnerte daran:
Es ist nicht sinnlos, zu gedenken – auch wenn wir nicht an den Hebeln der Macht sitzen.
Atomwaffen verschwinden nicht, nur weil wir es uns in Herzberg wünschen.
Aber das Gedenken fängt im Kleinen an – bei uns, in unserem Alltag.
Mit dem eigenen Frieden. Mit dem Bekenntnis zur Menschlichkeit.
Meine Botschaft: Die Zehn Gebote der Menschlichkeit
Dazu hatte ich mir viele Gedanken gemacht. Ich habe versucht, die Zehn Gebote der Menschlichkeit zu formulieren – in Anlehnung an die biblischen Gebote.
Denn die würden an sich schon zum Frieden gereichen , wenn wir Menschen sie wirklich leben würden.
Meine Gebote verbinden die Geschichte von Hiroshima mit unserem Hier und Jetzt.
Und das erste Gebot habe ich gleich an diesem Tag umgesetzt:
Ich habe Maik Bialeck, gebürtiger Herzberger und Chefkorrespondent der AfD Wittenberg mit Namen begrüßt. „Stelle den Menschen über jede Ideologie.“ - erstes Gebot - fällt mir nicht immer
leicht.
Ein winziger Schritt. Besonders wenn man bedenkt, dass viele Opfer der Atombomben ihr Leben lang für Frieden und Versöhnung hart gearbeitet haben – trotz ihres persönlichen Leids. Versöhnung ist schwerer als Gegnerschaft. Und doch ist es eine unserer menschlichen Superkräfte, es immer wieder zu versuchen.
Die Zehn Gebote der Menschlichkeit – Kurzfassung
- Stelle den Menschen über jede Ideologie.
- Ächte jede Form der Massenvernichtung.
- Widersetze dich Unterdrückung und Gewalt.
- Schütze Vielfalt und friedliche Lebensformen.
- Suche Wahrheit und bekämpfe Desinformation.
- Nutze Technik zum Wohle aller.
- Ignoriere das Leid anderer nicht.
- Bewahre die Erde für kommende Generationen.
- Kontrolliere Macht – folge nie blind.
- Stifte Frieden und nähre Hoffnung.
Was ich mitnehme:
Frieden fängt nicht in Sitzungssälen und bei Gipfeltreffen an, sondern im Kleinen – auf Marktplätzen, in Begegnungen, in Handreichungen. Das Miteinander ist schwerer als das
Gegeneinander.
Aber wenn wir diesen Weg n i c h t gehen, werden wir nie den Frieden wecken.
Stephanie Kammer