10 Jahre „Genreserve“

Sie sind laut, sie sind schmuck und sie sind durstig! Wandzeitungsredakteuer Dirk Friedel über gute Freunde in der Volksarmee, über frische Genreserven mit klang-elastischen Stimmbändern und über bestes biergeöltes Liedgut aus Jeßnigk.


„Frieher honn se immer jesoat:

In Duwa sitzen se in de Kneipe,

in Koloche bein Karneval

un in Jeßnigk sitzen se uffs Jeld.

Aber dat stimmet so nich janz, wie diese wahre Jeschichte zeijen tut.“

JESSNIGK. Als sich im Januar 2010 einige Jeßnigker Männer Gedanken zu ihren Zemperkostümen machten, ahnte noch niemand von ihnen, dass dies der Beginn einer beispiellosen Entwicklung sein würde.

Die meisten von uns waren schon als „Dream Boys“ und „Jeßnigk Bulls“ bekannt. Die „Dream Boys“ unterhielten die Jeßnigker bei allen Veranstaltungen wie Dorffest, Fastnacht und Frauentag. Die „Jeßnigk Bulls“ hatten sich zunächst als Footballteam beim Zempern gegründet, wurden dann als Volleyballer (z.B. beim Herzberger Beachvolleyballturnier auf dem Markt), Floßfahrer (Bernsdorfer Seefestspiele) oder Highland-Games-Kämpfer (Dorffest Malitschkendorf) in der Region bekannt. Nun war die Idee geboren, gemeinsam als Männerchor beim Zempern die Lieder zu singen, bei denen jeder den Refrain mitgrölt, aber keiner mehr so richtig den Text kennt. Kurzerhand wurden Liedermappen zusammengestellt und Pavarotti-Umhänge geschneidert, schwarze Zylinder sowie weiße Schals und weiße Handschuhe angeschafft, und dann ging’s Zempern! Der Erfolg und vor allem der Spaß waren überwältigend! Das konnte doch keine einmalige Aktion bleiben – nein, wir wollten mehr.

Darum beschlossen wir, uns nun 14-tägig zu treffen, um Chorproben abzuhalten. Außerdem musste ein Name her: „Genreserve 2010“. Das schlug ein wie eine Bombe! Wieso denn „Genreserve“, werden wir seitdem oft gefragt. Die Antwort ist immer die gleiche: Wir stehen für die alten deutschen Tugenden wie Ordnung, Fleiß, Disziplin, Pünktlichkeit, Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, aber auch Spaß und Geselligkeit. All dies gilt es zu bewahren und auch weiterzuverbreiten. Manche Frauen haben schon gedacht, dass dies durch den Austausch von Körperflüssigkeiten geschehen soll, doch da haben unsere Ehefrauen was dagegen. Der durchschnittliche Genreservist ist nämlich verheiratet, hat zwei Kinder, ist 50 Jahre alt, 180 Zentimeter groß, 89 Kilogramm schwer* und nicht für Kräutertees und Smoothies zu begeistern. Um es klar zu sagen: Unser Lieblingsgetränk ist das Bier, denn „wegen Kaffee und Kuchen kommen wir euch nicht besuchen“, wie unser Chorleiter Stoni zu sagen pflegt. 

Man ahnt es schon: Es gibt neben dem Gesang viele Gründe für unsere Verbindung. Zum einen sind da die großen philosophischen Fragen, mit denen wir uns auseinandersetzen: „Wenn ein Mann allein in einem Raum ist – ganz ohne Frau –, hat er dann trotzdem Unrecht?“ Zum anderen spielt auch die Geselligkeit eine wichtige Rolle. Wir gehören nicht zu den Menschen, die sich in den eigenen vier Wänden verkriechen, oder, um es auf Neudeutsch zu sagen: Wir sind keine Couch-Potatos! Davon zeugen viele gemeinsame Erlebnisse und Veranstaltungen wie z.B. mehrfache Besuche der Spiele der Eisbären Berlin. Da ging es schon im Zug mit Singen los: „Kleine süße Schaffnerin, sag wo geht die Reise hin?“, und endete unter der S-Bahnbrücke vor Hunderten Eisbären-Fans, als wir Lieder aus unserer (sozialistischen) Schulzeit sangen. Das kam bei den Ostberlinern gut an! Hoffentlich kommt nicht der Verfassungsschutz!! Außerdem werden zu jeder Fußball-EM und -WM mindestens die Spiele der Deutschen Nationalmannschaft per Public Viewing angeschaut, da die meisten von uns sportaffin sind. Wer keine Ahnung von Fußball hat, kann trotzdem durch „doofes Zeug quatschen“ zum Gelingen des Abends beitragen. Manni sagt dann immer: „Jeder ist zu etwas nutze, auch wenn er nur als schlechtes Beispiel dient.“ Auch unsere Frauen kommen nicht zu kurz, wie z. B. bei einer Kremserfahrt mit Stopp beim legendären Otti in Arnsnesta oder beim Ausflug in die Brennerei Sellendorf mit Verkostung fast aller Sorten … 

Ein absoluter Höhepunkt war der Besuch des Grassauer Himmelfahrtgesangvereins zu seinem 25-jährigem Jubiläum. Es war heiß wie Sau und wir starteten in Jeßnigk beim Richtfest Köhler/Nolle mit Gesang und einem frisch gezapften Bierchen, fuhren dann mit den Rädern nach Jrasse**, um dort erst mal unsere Stimmen am Bierwagen zu ölen. Schließlich folgte der Einmarsch ins Zelt mit Pauke und Marschgesang. Wir sangen unsere Lieblingslieder: „Gute Freunde in der Volksarmee“ sowie „Erika“. Das Zelt tobte! Ein würdiger Beitrag zum Jubiläum unserer Sangesbrüder und ein toller Erfolg für uns. Die Auswertung erfolgte direkt vor Ort am Bierwagen, bevor die Rückkehr in die Heimat anstand. Zurück in Jeßnigk fand ein abermaliger Besuch des Richtfestes mit Komplettverzehr der noch vorhandenen Essensvorräte statt. Die hatten den nächsten Tag nichts mehr zum Mittag! „Nuja, die hätten missen das Zeich jlei wechstelln, wo se uns han komm’ sähn. Da kunde jo denn o keener mehr was dafor.“** 

Unvergesslich ist auch unser Auftritt am 1. März 2019 in Herzberg, Dresdener Straße 29, Raum 1. Wir hatten einen Ausflug mit unseren Frauen zum Kabarettabend bei Reinhard und Sylvius gebucht. 1. März? Da war doch was! Tag der Nationalen Volksarmee! Es gibt keine Zufälle. Reinhard Straach moderierte aus „aktuellem Anlass“ eine Programmänderung an und wir kamen mit dem (früher) bekannten Pionierlied „Gute Freunde in der Volksarmee“ einmarschiert. Das war eine gehörige Überraschung für die anwesenden Zuschauer wie die Mitglieder des Kulturbundes Bad Liebenwerda. Die wissen jetzt, warum Herzberg Kreisstadt ist! „Geht jetzt etwa der ganze Abend so weiter?“ Natürlich nicht, wir wollten ja auch nicht die Show stehlen. Wir haben an dem Abend noch einen neuen Bierrekord aufgestellt und alle waren glücklich!

Damit jetzt keiner meint, wir singen nur Kommunistenlieder, weit gefehlt! Keiner von uns hat jemals eine Auszeichnungsreise mit dem Freundschaftszug in die Sowjetunion erhalten. Unser Repertoire umfasst circa 100 Werke aus den Kategorien deutsches Volkslied, Lieder heiter und frivol, Kampflieder verschiedener Verbände, Trink- und Scherzlieder und Weihnachtslieder.

Wer jetzt vielleicht denkt, DIE könnten wir auch mal holen, den muss ich leider enttäuschen. Denn man kann uns nicht buchen. Wir bestimmen selbst, wo wir singen. Jedoch sind wir mit gutem Essen und Trinken bestechlich, und dann gibt es schon mal eine Ausnahme. Aber denkt dran: „Wegen Kaffee und Kuchen kommen wir euch nicht besuchen!“

Vielleicht noch so viel: „Frieher honn se immer jesoat: In Duwa sitzen se in de Kneipe, in Koloche bein Karneval un in Jeßnigk sitzen se uffs Jeld. Aber dat stimmet so nich janz, wie diese wahre Jeschichte zeijen tut.“**

 

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