Was wäre das Leben ohne Schandtaten

BÜCHERKAMMER Adventskalender Nr. 16 I Von Streichen, Scherzen und grobem Unfug


Ein Kapitel aus "Nischt Jenaues wees man nich" von Hans-Dieter Lehmann
Ein Kapitel aus "Nischt Jenaues wees man nich" von Hans-Dieter Lehmann

NICHT NACHMACHEN.  Wir haben ein supersoftes grünes Sofa, das ein Erbstück sein könnte. Man sieht dem Liebhaberstück keineswegs an, das es nur die Trophäe einer Ebay-Auktion an einem langweiligen Sonntagnachmittag war. Gedrehte Kordeln, moosgrüner Samt, perfekte Federung, als wäre es nicht 100 Jahre alt, sondern nigelnagelneu. Vor fünf Jahren verlor es seine Makellosigkeit. Meine jüngste Tochter Capella, die im Sommer schreiben gelernt hatte, schmierte in einer ungestörten Minute mit einem fetten schwarzen Edding-Stift in Großbuchstaben den Namen ihres großen Bruders auf das samtige Sofa. Sie war noch in der Phase, in der sie alles in Spiegelschrift schrieb. Also war nun groß und breit „Gustav“ spiegelverkehrt auf dem herrschaftlichen grünen Samt zu lesen.

Ich wurde fuchsteufelswild und stellte die kleine Dame zur Rede. Sie schwor, es nicht gewesen zu sein, stattdessen bezichtigte sie ihren großen Bruder, um ihm vielleicht eins auszuwischen. Der Beweis sei sein Name. Ich war fassungslos und griff zu einem heutzutage fragwürdigen, aber erprobten Erziehungstrick. „Gut“, sagte ich, „dann bringen wir Gustav jetzt ins Kinderheim. Papa geh raus und setzt Gustav schon mal ins Auto! Ich packe seine Tasche.“ Meine sonst so furchtbar liebe Tochter sollte lernen, dass man seine Schandtaten zugibt und nicht noch schwindelt.

Ich nahm also die Tasche mit den Sachen von Gustav, der von all dem gar nichts mitbekam, weil er irgendwo unterwegs war mit Freunden. Dann küsste ich mein Töchterchen und sagte, dass es nicht lange dauern würde. Dann stürmte ich noch einmal zurück ins Haus und brabbelte. „Ich verstehe nicht, warum Gustav im Auto so tobt und brüllt. Er behauptet, er war das nicht. Und weil er auch noch schwindelt, wird er wohl sehr lang wegbleiben müssen. Deshalb hole ich jetzt noch seine Wintersachen.“ Mein kleines liebes Mädchen stand nun da mit zitterndem Kinn und den Tränen nahe. Ich nahm die Kleine in die Arme. „Du warst das, oder?“. Sie nickte. „Bei nächsten Mal gibst du doch zu, wenn du einen Fehler gemacht hast und schwindelst nicht noch, oder?“ „Ja, aber nur, wenn ihr Gustav nicht fortbringt“, antworte sie erleichtert.

Heute bitte ich für meine mütterliche Erziehungsschandtat im Stillen um Vergebung. Meine Tochter ist dank ihres fragwürdigen Vorbildes zu einer Meisterin des Schabernacks herangereift. Dass es eine regionale Tradition der Schelmenstreiche gibt, hat Hans-Dieter Lehmann in seinem letzten Buch bewiesen. Walpurgisnacht, Andreasgeister und freche Buben verzapften da massig Unfug. Eine echte Empfehlung für alle Freunde von Klamauk und Eselei.

Stephanie Kammer